Ezra Pound: In a Station of the Metro

Ezra Pound: „In a Station of the Metro“

Mit „In a Station of the Metro“ erforschte Ezra Pound vor dem Ersten Weltkrieg neue Wege des Schreibens.

Bevor Pound sein Lebenswerk, die Cantos, anging – und mit dem italienischen Faschismus sympathisierte – schrieb er in London und Paris vor und nach dem Ersten Weltkrieg prototypisch moderne Lyrik. Sein Name wird mit den Strömungen des „Imagismus“ und des „Vortizismus“ in Verbindung gebracht. Während ein imagistisches Gedicht die Essenz eines einzelnen bildlichen Eindrucks einfangen will (oder soll), steht beim Vortizismus die Bewegung und Dynamik eines solchen Bildes im Vordergrund. Das unten analysierte Gedicht „In a Station of the Metro“ wird häufig dem Imagismus zugerechnet, hat aber auch vortizistische Elemente in sich – und das in nur zwei kurzen Zeilen.

Kurze Auslegungen von Gedichten der deutschen und englischen Literaturgeschichte erscheinen regelmäßig auf diesem Blog. Diese und weitere Interpretationen werden auch bald als Lektürehilfen für Schüler, Studierende und andere Interessierte in der App verfügbar sein.


Ezra Pound: In a Station of the Metro

The apparition     of these faces     in the crowd    :
Petals     on a wet, black     bough    .


Interpretation des Gedichts von Ezra Pound

Ezra Pound veröffentlichte „In a Station of the Metro“ 1913 im Magazin Poetry. Hier ist zu sehen, dass die oben gewählte Darstellung dem Abdruck in der Lyrikzeitschrift entspricht. In Buchform wurde es in Pounds Sammlung Lustra 1916 publiziert.1Pound erklärte diesen Titel wie folgt: „LUSTRUM: an offering for the sins of the whole people, made by the censors at the expiration of their five years of office, etc.. Elementary Latin Dictionary of Charlton T. Lewis.“ Seine Lyrik kommt dem Titel nach also einer Opfergabe des Dichters an seine Leser gleich.

Das kurze Gedicht hat keine inhaltliche Aussage, es hat nicht einmal ein Verb. Keine Handlung wird abgebildet, sondern ein Bild zur Darstellung gebracht. Es wird eine „apparition“, ein Erscheinen von etwas, beschrieben. Was erscheint? „[F]aces in the crowd“, einzelne Gesichter in einer großen Menschenmenge, an einer U-Bahn-Haltestelle – wenn man dem Titel Glauben schenkt.

Im zweiten Vers wird der Versuch unternommen, diese Erscheinung in einem umgeformten Bild verständlich zu machen: Die Gesichter gleichen „Petals on a wet, black, bough“, Blüten auf einem nassen, schwarzen Ast. Das in diesem Vergleich enthaltene Verhältnis zwischen Blüten und Ast ist es, mithilfe dessen das Gedicht versucht, das Verhältnis der einzelnen, dem Bewusstsein erscheinenden Menschen zum Rest der gestaltlosen Masse an der Station zu beschreiben.

Das Objektive wird zum Subjektiven

Aus dem Unpräzisen (Masse/apparition) wird im zweiten Vers also etwas Präzises. Aber es geschieht auch noch etwas: Aus etwas Objektivem wird etwas Subjektives. Waren zuvor die Gesichter einfach nur Teil einer platten Masse, werden sie im dichterischen Bild des blütenbesetzten Astes zu etwas Schönem und Persönlichem. Dieser Wechsel von Objektivität zur Subjektivität ist das Thema und der Kern dieses Gedichts. Das undeutlich Wahrgenommene wird zu einem deutlichen und dadurch eigenartigen Bild.

Pound hat diesen Prozess selbst in einem Essay mit dem Titel „How I Began“ von 1913 reflektiert. Darin schreibt er über „In a Station of the Metro“ unter anderem:

In a poem of this sort one is trying to record the precise instant when a thing outward and objective transforms itself, or darts into a thing inward and subjective.

Will sagen: Das Gedicht stellt das Bild des Astes mit den Blüten dar, beschreibt aber auch die Dynamik, die zu diesem Bild geführt hat, den Prozess der „apparition“. Es ist objektiv und subjektiv zugleich.

In diesem Sinne ist es auch, wie eingangs gesagt, sowohl imagistisch als auch vortizistisch: Pound schafft es in zwei Zeilen, eine radikale mentale Dynamik – den Wechsel zwischen objektiver Wahrnehmung einer Menschenmasse und einzelner Gesichter zum dichterischen Ausdruck – mit dem Stillstand eines einzelnen markanten Bildes zu verschmelzen. Während beim Anschauen einer kleinen Momentaufnahme in der Metro alles stillzustehen scheint, bricht im Bewusstsein des Dichters ein reißender Assoziationsprozess los, der zwischen den beiden Versen vollzogen wird und im Bild des zweiten Verses zum Schluss kommt.

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Foto: Pixabay

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