William Shakespeare: „My mistress’ eyes are nothing like the sun“ (Sonnet 130)

Gedichtanalyse eines der bekanntesten Sonette von William Shakespeare – „My mistress eyes’ are nothing like the sun“.

Die Sonette von William Shakespeare, 1609 veröffentlicht, sind ein zentrales Ereignis der europäischen Lyrik. Originell, scharfzüngig mit Traditionen brechend und voller Sprachspiele – sie sind bis heute ein Fundus für neugierige Leser und Wissenschaftler. Das 130. Sonett, das mit der Tradition des Petrarkismus aufräumt und versucht, das wirklich Wahre an der Liebe offenzulegen, wird hier ein wenig genauer unter die Lupe genommen.

Kurze Auslegungen von Gedichten der deutschen und englischen Literaturgeschichte erscheinen regelmäßig auf diesem Blog. Diese und weitere Interpretationen werden auch bald als Lektürehilfen für Schüler, Studierende und andere Interessierte in der App verfügbar sein.


William Shakespeare: Sonnet 130

My mistress’ eyes are nothing like the sun,
Coral is far more red than her lips’ red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head
I have seen roses damasked, red and white,
But no such roses see I in her cheeks,
And in some perfumes is there more delight
Than in the breath that from my mistress reeks.
I love to hear her speak, yet well I know
That music hath a far more pleasing sound.
I grant I never saw a goddess go:
My mistress when she walks treads on the ground.
    And yet, by heaven, I think my love as rare
    As any she belied with false compare.


Interpretation des Gedichts von William Shakespeare

„My mistress’ eyes…“ ist formal ein klassisches Sonett aus der englischen Tradition. Die Versgruppe präsentiert sich in 14 Versen, von denen die zwei letzten ein Couplet bilden und eine typografisch vom Rest abgehobene Schlusspointe sind. Die 12 Verse zuvor werden durch anaphorische eingerahmt (V. 1 und V. 12), die „my mistress“ als Thema des Gedichts auszeichnen. Der Sprecher spricht also von „seiner Geliebten“ – eine Formulierung, die heutzutage nicht allzu besonders wirkt, aber damals einige Sprengkraft in sich barg.

Nicht alles ist Gold, was glänzt

Denn mit der persönlichen Besitzanzeigung stellt sich das Gedicht gegen die damalige lyrische Tradition des Petrarkismus, wie sie Lyriker wie der Italiener Pietro Bembo oder der Franzose Pierre de Ronsard pflegten. Der Petrarkismus hatte als zentrales Motiv die unerreichbare Geliebte, die der Dichter anbetet, aber nie als Teil seines Lebens betrachten kann. Shakespeare macht in Sonett 130 quasi genau das Gegenteil: Er ‚hat‘ von Beginn an eine Geliebte, träumt nicht davon, sie zu erobern. Darüber hinaus preist er im weiteren Verlauf des Gedichts nicht ihre Schönheit, sondern gesteht äußerliche Makel an ihr ein.

Dafür werden viele Stereotypen des Petrarkismus parodiert. Gedichte in der Nachfolge Francesco Petrarcas enthielten oft Vergleiche zwischen Frauenkörpern und schönen Naturgebilden. Shakespeare vergleicht seine „mistress“ nun allerdings mit unschönen Objekten oder lässt sie deutlich hinter der Natur zurückfallen: „Coral is far more red than her lips’ red“ (V. 2) oder „If hairs be wires, black wires grow on her head“ (V. 4) – um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch ihr gesellschaftliches Betragen lässt zu wünschen übrig, sie schlurft beim Gehen: „I grant I never saw a goddess go: / My mistress when she walks treads on the ground.“ (Vv. 11f.)

Der Dichter der ehrlichen Liebe

Umso bemerkenswerter endet das Gedicht mit einer persönlichen, selbstbewussten Liebesbezeugung, die im Kontrast zu den petrarkistischen Stereotypen ehrlich und einzigartig wirkt. Der Dichter hält trotz allem an der Liebe zu ihr fest. Idealen der Schönheit und der Verehrung werden Absagen erteilt. Die Liebe wird weltlich, vielschichtig und problematisch. Dieses Thema beherrscht die Sonettsammlung Shakespeares auch als ganzes, weshalb das 130. als ein für ihr Kernthema exemplarisches angesehen wird.

Foto: PixabayHaus von Anne Hathaway

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