Sonnenuntergang Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere

Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere

In dieser Poesi-Gedichtinterpretation von Das Fräulein stand am Meere wird die bissige Ironie von Heinrich Heine genauer untersucht.

Als Beispiel dafür wird das kurze Gedicht von 18441Es erschien in der Sammlung „Neue Gedichte“. thematisiert. Die Gedichtanalyse zeigt, wie Heinrich Heine die literarischen Moden seiner Zeit lächerlich macht und zugleich eine eigene Sprache und literarische Form etabliert.

Kurze Auslegungen von Gedichten der deutschen und englischen Literaturgeschichte erscheinen regelmäßig auf diesem Blog. Diese und weitere Interpretationen werden auch bald als Lektürehilfen für Schüler, Studierende und andere Interessierte in der App verfügbar sein.


Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! seyn Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.2Zitiert nach der historisch-kritischen Heine-Ausgabe, erschienen bei Hoffmann und Campe.


Interpretation des Gedichts von Heinrich Heine

Nur zwei Strophen hat Das Fräulein stand am Meere – aber die haben es in sich. Bei der Lektüre der ersten Strophe scheint das Gedicht ein typisch romantisches Thema zu haben: tiefgehende Gefühle aufgrund einer Naturerscheinung, hier des Sonnenuntergangs. Eine Frau steht am „Meere“ und ist vom Lichtspektakel gerührt.

Aber schnell wird klar: Heine meint es nicht so ernst mit der Romantik. Das zeigt zunächst die Form der Strophen. Sie sind durchweg kreuzweise gereimt (abab / cdcd). Allerdings wird dieses Reimschema künstlich überspitzt, wenn Heine in der ersten Strophe statt „Meer“ und „sehr“ die zweisilbigen, erweiterten Wörter „Meere“ und „sehre“ als Reimpaar liefert.

Einmal hü und einmal hott

Nur durch die lächerliche, unnötige Ausdehnung der Wortlänge wird das anvisierte Metrum des dreihebigen Jambus erreicht. Dieser Jambus wird dann wiederum im letzten Vers aufgebrochen, dessen letzter Versfuß (dritte Hebung) ein Anapäst ist. Das „sehre“ war also, das wird am Ende des Gedichts klar, gar nicht nötig. Denn der Text hat ja offenbar sowieso kein einheitliches Metrum.

Eine Brechung von in der ersten Strophe etablierten Mustern in der zweiten wird nicht nur formal, sondern auch inhaltlich vollzogen. Das vom Sonnenuntergang ergriffene „Fräulein“3Durch diese Verniedlichung ist sie im Übrigen generell weniger ernst zu nehmen. wird in den letzten vier Versen vom Sprecher belehrt. Die Sonne gehe doch jeden Tag wieder unter, etwas Besonderes sei dies gar nicht. Ihre angeblich so hohen Gefühle romantischer Ergriffenheit werden zu einer banalen Alltagssituation degradiert.

Begreifen statt Empfinden

Heine macht sich mit dem ironischen Kommentar für eine analytischere Sicht auf die Welt stark. Dem Gedicht zufolge ist es besser zu verstehen, wie die Welt funktioniert, anstatt sich von ihr diffus berühren zu lassen, aber dadurch weniger über sie nachzudenken. Auch in dieser Hinsicht erscheint die nachgezeichnete romantische ‚Gefühlsseligkeit‘ flach, unreflektiert und bedeutungslos.

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Foto: Pixabay

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