Zang Di: Gesellschaft für Flugversuche (Hanser Literatur Verlag)

Die Lyrik von Zang Di: Interview mit Dong Li und Lea Schneider

In der Lyrik von Zang Di gibt es Überraschungsmomente und viele Rätsel. Seine Übersetzerin und sein Übersetzer ins Deutsche haben Poesi ein kurzes Interview zu diesen besonderen Gedichten gegeben.

Poesi hat eine Auswahl von Zang Dis Lyrik, die auf Deutsch im Band Gesellschaft für Flugversuche (Hanser) versammelt sind, bereits hier rezensiert. Mit dem Interview mit Lea Schneider und Dong Li werden einige weitere Besonderheiten dieses Buchs deutlich – wie auch die Bedeutung und Hintergründigkeit der Arbeit von Übersetzer*innen im Allgemeinen in den Fokus gerückt wird.

Interview: Zur Lyrik von Zang Di

Zang Dis Lyrik fordert beim Lesen einiges an Aufmerksamkeit und Denkakrobatik. Die Lektüre artet nicht selten in Arbeit aus. Wieso lohnt sie sich aus Ihrer Sicht (dennoch)?

Dong Li: Lyrik, wie andere Kunstarten, lässt Spielraum für Imagination und Reflektion. Man sagt, Lyrik ist immer in einer Fremdsprache geschrieben, oder Lyrik, an sich, ist eine Fremdsprache. Es braucht Zeit und Geduld, um zu lernen, sich daran zu gewöhnen. Lyrik erfasst unsere Bewunderung für die Sprachen, die Menschen und Welten verbinden. Zang Dis lyrische Experimente und Denkabrokbatik sind nicht anders.

Lea Schneider: Im besten Fall ist Arbeit ja dasselbe wie Spiel. So erlebe ich das eigentlich auch mit Zang Dis Gedichten: Sie fordern vielleicht ein Mehrfach-Lesen, ein Laut-Lesen, ein Nachschlagen oder Herumpuzzeln, aber sie werden dabei nie verkniffen oder bildungshuberisch. Es sind auch Gedichte, mit denen man lernen kann, zu genießen, dass man nicht immer alles entschlüsseln kann – dass es Texte gibt, deren Sinn sich nicht durch Interpretation, sondern durch Einfühlung herstellt.

War Übersetzbarkeit ein Kriterium bei der Auswahl? Mussten womöglich qualitativ hochwertige Gedichte ausgelassen werden, weil sie durch eine Übersetzung zu sehr gelitten hätten?

Dong Li: Ich habe die erste Auswahl getroffen und dann haben Lea und ich darüber diskutiert. Wir haben einfach unsere Lieblingsgedichte gewählt. Es gibt natürlich Probleme bei Sprichwörtern. Manchmal hat sich ein Truthahn auf Chinesisch in einen Sack Reis auf Deutsch verwandelt. Dies ist eine große Herausforderung, macht aber auch Spaß. In unserem Fall ist die Übersetzbarkeit kein großes Kriterium, oder spielt fast keine Rolle. Naja, Lea und ich sind auch jung und abenteuerfreudig!

Lea Schneider: Zum Teil haben wir uns sogar absichtlich die herausfordernden Gedichte ausgesucht – diejenigen, bei denen wir kreativ werden und uns den Kopf zerbrechen mussten. Dong und ich sind ja beide auch selbst Dichter*innen, und das Übersetzen ist für mich genauso schöpferisches Arbeiten wie das Schreiben „eigener“ Texte. Wir wollten einen Überblick über die unterschiedlichen Facetten von Zang Dis Werk zeigen; ansonsten war unser Auswahlkriterium vor allem, von welchen Gedichten wir glaubten, dass sie für deutschsprachige Leserinnen interessant sein könnten.

In Ihrer Einleitung zu der Zang-Di-Auswahl schreiben Sie, dass Lyrik in der chinesischen Literaturtradition ein Mittel der Politik- und Gesellschaftskritik ist. Macht sie das derzeit eher zu einem beliebten oder einer gefährdeten Gattung in China?

Dong Li: In China sind die Dichter nicht mehr Rockstars wie in den 80ern. Die Lyrik erhält immer noch Prestige und Respekt, aber die Frage ist, inwiefern sie als Mittel der Politik- und Gesellschaftskritik heute noch wahrgenommen wird. Damals bedeutete dieser Rockstar-Status der Dichter Aufmerksamkeit und auch manchmal Last. Heute haben die Dichter vielleicht auch mehr Ruhe und Freiheit, um sich in ihre Kunst und eigene Vision zurückzuziehen.

Lea Schneider: Ich finde es spannend, dass viele chinesische Dichter*innen – und auch „ganz normale“ Menschen – Gedichte schreiben, um auf gesellschaftliche Ereignisse zu reagieren. Das muss nicht unbedingt politische Kritik sein, es gibt auch viele Gedichte, die gesellschaftliche Missstände wie soziale Ungerechtigkeit oder Umweltverschmutzung kritisieren. Diese werden meist online gepostet, gehen dann viral und sorgen für große Aufmerksamkeit. Lyrik als eine Kulturtechnik, die allen offen steht, um auf gesellschaftliche Ereignisse zu reagieren, ist auf jeden Fall sehr beliebt; ob das größere Auswirkungen für die „profesionellen“ Dichter*innen hat, kann man sicher diskutieren.

Abschließend: Mit ausführlichen Erläuterungen suchen Sie im Kommentarteil des Buchs Lesern, die kein Chinesisch sprechen, Eigenarten dieser Sprache zu vermitteln. Inwiefern eignet sich chinesische Lyrik vielleicht besonders gut dafür?

Dong Li: Diesen Teil hat größtenteils Lea erarbeitet. Wenn man eine Kultur richtig verstehen möchte, sollte man zuerst ihre Lyrik begreifen. Lyrik ist wahrscheinlich das beste Lernmittel gegenüber standardisierten Sprachen und strukturiertem Sprachenunterricht. In der Lyrik lernt man die Musik der Sprache, die die Seele einer Kultur und eines Volkes widerspiegelt. Mit der Lyrik muss alles umgelernt werden: Was nicht geht in der Grammatik, würde vielleicht in einem Gedicht funktionieren. Lyrik kann dazu beitragen, unsere linguistischen Muskeln anzuspannen und zu entspannen. In der Lyrik hört man die Sprachen singen. Wer will das nicht?

Lea Schneider: Das ist ein so schönes Schlusswort, dass ich ihm gar nichts mehr hinzufügen möchte.

Herzlichen Dank an Lea Schneider und Dong Li für das Gespräch.

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