Nadja Küchenmeister: Im Glasberg (Header)

Nadja Küchenmeister: Im Glasberg. Gedichte

Die neuen Gedichte von Nadja Küchenmeister scheitern souverän und extrem schön am Leben.

Der titelgebende Glasberg,1Eine Erfindung der Grimm-Brüder. das ist in Küchenmeisters jüngstem Band wohl das Leben. Es wirkt wie ein Märchen, ein Mythos, von dem ein persönliches wie allgemeines Bild erzählt wird. Mal kommt es in stockenden Reimen daher, mal reimlos. So unklar wie die Versifizierung ist auch dieser Mythos selbst. Das Leben bleibt undeutlich, ungreifbar. Und doch wird oft im Dreizeiler des Epos geredet, als gäbe es eine klare Geschichte.

Dunkel – Blende – Flackern – Dunkel

In sechs Abschnitten der Fast-Erzählung in Versen, die „Im Glasberg“ ist, zeigt sich immer wieder in Schlaglichtern etwas, das bedeutungsvoll für das Leben sein könnte: mal wird auf fragmenthafte Kindheitserinnerungen, erste Todeserfahrungen und Grundängste aufgeblendet, im zweiten Teil vermehrt auf immer wehmütigere Liebeserfahrungen. Aber immer wieder fehlt etwas.

Was das ist, wird nicht aufgelöst, vielleicht ist es die Lösung des anderen Lebensmythos: des Todes. Dennoch gibt es ein wenig Ordnung. Kleine Zyklen am Anfang und am Ende halten die Gedichte notgedrungen zusammen, ein Langgedicht von 10 Seiten über Reue, verlorene Vergangenheiten und das schwindende körperliche Lebendige weitet den Raum in der Mitte des Bandes weit aus. Spätestens bei der Lektüre dieses zentralen Stücks ist klar: Alles an „Im Glasberg“ ist komponiert, obwohl es gar nicht reibungslos aufgehen kann. Das weiß auch der Tonfall, der meist in der für Küchenmeister typischen melancholischen Lage durchgespielt wird, aber auch immer wieder zwischen Einbezug von formalen Spielereien, kleineren Liedstücken und Witz changiert.

Was da ist, kriegt eine Chance

Voller Objekte sind die Gedichte übrigens auch noch. Objekte, die Halt zu geben scheinen, es aber im Endeffekt doch nicht tun. Und voller einzeln anvisierter und höchst variantenreich festgehaltenen Erfahrungen, die mit ihnen zusammenhängen.

Was den Gedichten dabei glücklicherweise abgeht, sind platte Lebensweisheiten: es handelt sich eher um so etwas wie emotionale Tatsachenberichte. Und dass diese Berichte von der Unverfügbarkeit von Fakten über Leben, Liebe und Vergangenheit in bleibende, schöne Bilder – ich denke da spontan an die immer wieder durch die Texte flatternde Amseln und die starren Tischtennisplatten – aufgehoben werden, ohne etwas Größeres darzustellen, das sie nicht sind, ist die Meisterleistung dieses herausragenden Buchs.

Küchenmeister schreibt aufs Schönste über alles und nichts. Alles was da ist, hat eine Chance verdient, kurz alles zu sein und dann zu dem Nichts zurückzugehen, das es ist. Mehr ist nicht drin, weil ja alles vergeht – aber das scheint für einen Moment auch in Ordnung zu sein.

Nadja Küchenmeister: Im Glasberg. Gedichte. Schöffling und Co. 2020. 112 Seiten. 20 Euro. (Bestellung)

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